Bildproben

Seit Oktober 2020 wechsel ich in regelmäßigen Abständen an der Elbe Bildproben aus.
Diese hängen für zwei bis drei Wochen an einer langen Kette in dem Fluß und treiben in der Strömung.
Während meiner Recherche Reise im Sommer 2020 entlang der Elbe habe ich Entwürfe für eine utopische Brücke von Menschen gesammelt, die an der Elbe leben.
Die Bildproben sind solche Entwürfe von Anwohern im eigentlichen Sinne:
Spuren von Ausscheidungen werden auf den unbemalten weißen Leinwänden und anderen Bildträgern zu einem malerischen Ereignis, dem ich nichts mehr hinzuzufügen habe.
Umweltfaktoren wie Vegetation, Trübung, Leitfähigkeit und Strömung beinfussen maßgeblich die Habitatbindung der verschiedenen Lebewesen in der Elbe. Davon beeinflusst sind auch die Bildproben, je nachdem wo sie liegen oder treiben.

Prozession

Mit vereinten Kräften bringen wir die gefüllte Tonne vom Baggerschiff herunter. Sie ist sehr schwer, aber gemeinsam bekommen wir sie bis in den Kofferraum meines Autos. Ich bin erstaunt und freue mich, wie hilfsbereit das Team vom Schiff meine Aktion unterstützt. Jetzt steht die Tonne im Atelier direkt unterm dem Fenster, durch das sie rein gehievt wurde.

Eine kostbare Tonne

Am Ende des Tages auf dem Baggerschiff füllt mir ein Mitarbeiter noch eine Regentonne mit dem Schlamm voll. Stück für Stück holt er mit einer Schippe den Schlamm aus dem Rumpf des Schiffes. Was hier wie Müll wie weggeschafft wird erscheint mir sehr kostbar. Was GIAN LORENZO BERNINI der Marmor ist mir der Elbeschlamm.

Elbeschlamm

Auf meiner letzten Station in Hamburg habe ich beobachtet, wie ein sehr großes Baggerschiff die Elbe ausbaggert. Seit einiger Zeit habe ich versucht, auf dieses Schiff mit dem Namen GIAN LORENZO BERNINI zu kommen. Die Firma mauert. Wie ich mir das vorstelle?
Irgendwann habe ich einen belgischen Mitarbeiter am Telefon, der offen ist für das Projekt und mich unterstützen will. Ich solle an einem Mittwochmorgen Mitte September um 9.00 im Büro der Firma im Hamburger Hafen sein. Ein anderes Team ist hier vor Ort. Der zuständige Mitarbeiter fragt mich, warum es unbedingt Elbeschlamm sein müsse. Ich könnte doch auch Schlamm aus der Havel nehmen, das würde niemand merken. Ich antworte, dass sei wie in der katholischen Kirche, die verteilen ja auch keine Chips. Er greift zum Handy und telefoniert. Nach 10 Minuten werde ich auf das Baggerschiff gebracht und kann den ganzen Tag Filmaufnahmen machen. Das Schiff ist benannt nach einem der berühmtesten Bildhauer der italienischen Renaissance. Als würde dieses Schiff eine bildhauerische Tätigkeit ausführen…

Utopische Brücke

Am Ende der Reise steht ein Gedanke im Vordergrund: für mich geht es nicht nur um eine Brücke über die Elbe sondern mit der Elbe. Die Dreiecksbeziehung von Ufer, Fluß und Brücke verbinden. Ein Kreis durch Fluß und Ufer. Die Brücke auch unterhalb der Wasseroberfläche. Wie schön wäre es, wenn wir unter Wasser weiter gehen könnten. Eine Brücke für die Utopie.

Hamburg

Hier ist es eine einzige Landschaft aus Brücken, Tunneln, Gleisen und Betoninseln. In einer solchen Menge fällt es schwer, sich darauf zu konzentrieren. Aber es entsteht auch eine Art Biotop der Konstruktionen. Die Betoninsel nicht als Ort des Rückzugs, sondern eher als Steine im Wasser, die zusammen einen Übergang durch den Fluß erlauben. Von Stein zu Stein springen. Das es sich hier um die gleiche Elbe handelt wie in Dömitz oder Torgau ist schwer vorstellbar. Zu anders ist der Eindruck.

Regulierter Strom

Seit Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Elbe als Verkehrsweg intensiv genutzt und ausgebaut. Schon ab 1818 leitete der Ingenieur R. Woltman die Elbvertiefung und die damit verbundene Ausbaggerung des Flussbettes ein. Seitdem herrscht ein Richtungsstreit: soll man die Elbe möglichst wenig verändern oder den Fluß als Wasserstraße regulieren und umbauen. In den Augen des englischen Historikers David Blackbourn hängt der gesellschaftliche und politische Fortschritt in Deutschland eng mit der Zähmung des Wassers zusammen. Der Wasserbau als Instrument staatlicher Infrastruktur. Nach Woltman sind Straßen benannt, für jene, die den Fluß in Ruhe lassen, gibt es das nicht. Immerhin gibt es in vielen Orten entlang des Flusses eine Elbe Straße.

Wandern

Den Satz von Susan Sontag „Ich schreibe, um heraus zu finden, was ich denke.“ kann ich auch aufs Wandern beziehen: ich wander, um heraus zu finden, was ich denke. Da liegt vielleicht eine Gemeinsamkeit oder Verwandtschaft von Schreiben/Zeichnen und Wandern.
Schreiben wie Wandern und umgekehrt. Losgehen, zögern, zweifeln, Strecke machen, Schritte zählen, umschauen, genießen, Umgebung erkunden, Weg suchen, sich verlaufen, finden, verpassen…

Montag

Die abgebrochene, halbe Brücke weiter bauen. Aber nicht vollständig, sondern als Fragmente in der Landschaft, in der Richtung der Brücke. Dann kann man sie imaginieren als unendliche Fortführung. Wie die transportable U-Bahn Station von Martin Kippenberger. Auf dem Foto sieht man ein Denkmal in der Nähe von Dömitz für jene Flüchtlinge, die während der Sprengung 1945 auf der Brücke waren, als diese gesprengt wurde.

Dömitz

In Dömitz wurde ebenfalls die Brücke am Ende des zweiten Weltkrieges gesprengt. Durch die politischen Entwicklungen nach 1945 wurde sie aber nicht wieder vollständig aufgebaut. Jetzt steht die halbe Brücke wie eine Skulptur in der Landschaft, ein nutzloses Bauwerk, das umso stärker eine metaphorische Ausstrahlung hat. Ernst Kapp behauptet in seinen „Grundzügen einer Philosophie der Technik“, dass alles, was der Mensch technisch entwirft eine Projektion seiner Körperlichkeit ist. Der Hammer kopiert die Faust, das Sägeblatt die Schneidezähne. Was von uns kopieren wir mit der Brücke?